Sächsische Zeitung, Ausgabe Kamenz, Donnerstag, 31.03.2016
Fremd im eigenen Ort
Weil sie nicht sorbisch sprechen, fühlen sich zwei Räckelwitzer Familien ausgegrenzt. Dabei war das mal ganz anders.
Von Manuela Reuß
Trügerische Idylle? Das Dorf Räckelwitz ist ein aufgeräumter, sympathischer Ort mit vielen sorbisch sprechenden Bewohnern. Es gibt dort aber auch seit vielen Jahrzehnten Deutsche. Manche von ihnen fühlen sich inzwischen ausgegrenzt.
Der Stachel sitzt tief. Noch immer. Obwohl das Erlebnis nun schon fünf Wochen zurückliegt. Doch die Zeit hilft den zwei Räckelwitzer Familien nicht, die Kränkung zu vergessen. Zu schmerzlich ist die Erinnerung an die Geringschätzung.
Es war ein Donnerstag, Ende Februar, als Karl-Heinz Wetzko mit Schwägerin Angelika Schubert und Schwager Carl-Heinz Schubert einem Vortrag über die Geschichte ihres Heimatortes lauschen wollten. Das konnten sie allerdings nicht. Denn der Ortschronist hielt sein historisches Referat in Sorbisch. Einer Sprache, welcher beide deutschen Familien nicht mächtig sind. „Er hat uns vorher sogar begrüßt“, erinnert sich Karl-Heinz Wetzko. Also wusste er, dass deutsche Zuhörer anwesend sind, schlussfolgert das Trio. Dennoch ignorierte es der Redner. „Das war demütigend.“ Das hat sich tief ins Gedächtnis eingebrannt.
Die zwei Räckelwitzer Familien schätzen die Arbeit des Ortschronisten sehr. Seine Vorträge seien immer informativ. Und weil sie an der Historie ihres Ortes interessiert sind, wollen sie gern an solchen Veranstaltungen teilhaben. Bislang wurden Vorträge, die sie sich anhörten, immer zweisprachig gehalten. Diesmal war das nicht der Fall. Also stand Karl-Heinz Wetzko nach einer Viertelstunde auf und verließ den Saal. „Ich wusste für den Moment gar nicht, was da passiert“, sagt er. Sein Schwager und seine Schwägerin folgten ihm wenige Minuten später. Der Bürgermeister habe erstaunt geschaut. Ein Zuhörer, der den Zwiespalt mitbekam, fragte: Warum sagt ihr denn nicht, dass ihr nichts versteht?, erzählt Angelika Schubert. „Aber das tut man sich nicht an. Das hätte sicher spitze Bemerkungen gegeben. Ich hatte so schon mit Tränen zu kämpfen.“
Ihr Mann sei ganz aufgewühlt zurückgekommen, erinnert sich Annelie Wetzko. Die Räckelwitzerin war zu Hause geblieben, weil es ihr an dem Tag nicht so gut ging. „Einerseits war ich stolz auf ihn, dass er den Mut hatte, in der Situation aufzustehen und zu gehen. Andererseits schmerzte es mich, zu sehen, wie sehr ihn das mitnahm“, erzählt Annelie Wetzko. Als dann auch noch ihr Bruder klingelte und sie die Schwägerin mit Tränen in den Augen vor der Tür stehen sah, habe ihr das unendlich wehgetan. „Warum macht man das?“, fragt sie sich noch immer. Natürlich sollen die Sorben ihre Sprache sprechen. Nur so wird sie erhalten, sind sich die vier Räckelwitzer einig. Doch wenn jemand dabei ist, der kein Sorbisch spricht, ist es demütigend, denjenigen zu isolieren.
Früher sei das Verhältnis untereinander wesentlich besser gewesen, betonen die zwei Ehepaare. „Da war es ein Miteinander. Da hatte man nicht das Gefühl, ausgegrenzt zu sein, weil man Deutscher ist.“ Mag sein, dass man empfindlicher reagiert, weil man älter und dünnhäutiger ist, sinniert Karl-Heinz Wetzko. Doch dass sie zunehmend ausgegrenzt werden, bilde er sich nicht ein. „Wenn wir beispielsweise zu einem Dorffest gehen, würden wir allein am Tisch sitzen, wenn nicht andere Leute da wären, die auch deutsch sprechen.“ Deshalb gehen Wetzkos und Schuberts inzwischen nur noch gemeinsam zu Veranstaltungen. So können sie sich wenigstens unterhalten. Bei der jüngsten Rentnerweihnachtsfeier saßen Karl-Heinz Wetzko und Carl-Heinz Schubert auch allein am Tisch. „Niemand setze sich zu uns. Wir kamen uns vor wie Ausländer.“ Dabei sind Annelie Wetzko und ihr Bruder Carl-Heinz Schubert gebürtige Räckelwitzer. Sie erblickten das Licht der Welt im Haus ihrer Großmutter. Dort wo jetzt Familie Wetzko lebt. Die Geschwister gingen in Räckelwitz zur Schule, lernten dort bis zur vierten Klasse auch Sorbisch, Annelie sogar freiwillig bis zur achten Klasse, doch zu Hause sprach man deutsch. „Unsere Oma war Deutsche.“ Obwohl sie einen sorbischen Mann hatte, wurden die Kinder und Kindeskinder deutsch erzogen. Sie verstehe zwar das sogenannte Straßensorbisch, erklärt Annelie Wetzko, „aber einem in Hochsorbisch gehaltenen Vortrag könnte ich nicht folgen“.
Sprachbarrieren habe es früher nicht gegeben. „Wir haben zusammen mit sorbischen Kindern gespielt und sind als junge Leute gemeinsam zum Tanz gefahren.“ Da sei es egal gewesen, ob man Deutscher oder Sorbe war. Beide Familien sind bemüht, sich ins Dorfleben einzubringen. Wenn Straßenfeste gefeiert wurden, haben sie mitgeholfen, erzählt Annelie Wetzko. Ihr Mann war zudem viele Jahre Leiter der Räckelwitzer Wehr. Bei den Diensten sei früher immer darauf geachtet worden, deutsch zu sprechen. „Da gab es immer jemanden, der mahnte: Der Kalle versteht das sonst nicht“, erinnert sich der ehemalige Wehrleiter. Heutzutage ist man da oft rücksichtsloser, schätzt er ein. Fünf Tage vor dem Vortrags-Eklat sei er noch für sein Engagement für die Räckelwitzer Wehr ausgezeichnet worden, „und dann so eine Klatsche“, sagt er und lässt den Kopf hängen. Die Geringschätzung hat Narben zurückgelassen. Annelie Wetzko kann nicht verstehen, warum Angehörige einer Religion, die auf Nächstenliebe setzt, in der Lage sind, jemanden so auszugrenzen.
Die vier Räckelwitzer machen inzwischen aus ihrer Verbitterung keinen Hehl. Sie hat sich lange aufgestaut. Zu viele kleine Nadelstiche haben sie in der Vergangenheit stumm hingenommen. Wetzkos spielen sogar mit dem Gedanken, wegzuziehen. Nach Bayern. Zur Tochter. „Dort sind wir zwar wirklich fremd, aber bisher immer mit einer unglaublichen Herzlichkeit aufgenommen worden. “
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